Chancen und Herausforderungen für den Non-Profit-Sektor
Der Strudel der Disruption macht vor keiner Branche halt. Während z.B. Musik, Film, Handel, Kommunikation oder Banken – Stichworte: Spotify, Netflix, Amazon, Whatsapp, N26 – längst schon Prozesse digitalisiert, neue Geschäftsmodelle entwickelt, die Organisation restrukturiert oder neu erfunden haben, sind andere Player noch tradierten und linearen Mustern verhaftet.
Das gilt in Besonderem Maße für NGOs und NPOs, die ihre Zielgruppen nicht mehr in dem Maße abzuholen verstehen wie in der Vergangenheit. So sind die Mitgliedszahlen der Gewerkschaften in den letzten zehn Jahren im Durchschnitt um über 6 Prozent zurückgegangen. Fast 400.000 Menschen verließen den Deutschen Gewerkschaftsbund. Besonders hart getroffen wurde ver.di, die in dem Vergleichszeitraum fast zehn Prozent ihrer Mitglieder (211.000!) einbüßen musste. Aber auch die Anzahl der Spender und Aktivisten ist stark rückläufig. Nur knapp über 20 Millionen Menschen gaben 2018 Geld an gemeinnützige Organisationen oder Kirchen. Im Vergleich zum Vorjahr waren das etwa 800.000 Menschen weniger. 2005 spendete noch jeder Zweite Geld für gemeinnützige Zwecke. Mehr dazu in unserem Beitrag Deutschland: Land des Ehrenamtes und der Spender.
Transformation ist vielschichtig. Da geht es zunächst um digitale Infrastruktur und Prozesse: die Übertragung linearer, analoger Vorgehensweisen auf digitale Systeme. Dann um die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle entlang bestehender Substanzwerte und Marktzugängen. Das schließt insbesondere Kommunikation, Marketing und Vertriebskanäle ein. Der Kunde, Nutzer, Stakeholder muss ins Zentrum aller Aktivitäten gerückt werden. Schließlich die Organisation: Die muss sich im gleichen Maße verändern, agil werden, digitale Kompetenzen fördern und entwickeln.
Genau damit befasst sich die Studie von Dufft, N., Kreutter, P., Peters, S., Olfe, F.: Digitalisierung in Non-Profit-Organisationen. Strategie, Kultur und Kompetenzen im digitalen Wandel, 2017* (CC BY 4.0).
Stand der Digitalisierung bei NPOs
Der Non-Profit-Sektor versteht meist unter Digitalisierung die Nutzung digitaler Systeme. Insbesondere für Öffentlichkeitsarbeit (Social Media) und für administrative Tätigkeiten. Dabei umfasst sie Strategie, Organisation, Prozesse, Kompetenzen, Arbeitsmethoden und Kultur.
Die Auswirkung der Digitalisierung auf die Organisation (intern wie extern) wird deutlich unterschätzt. Insbesondere was die Entwicklung des Spendenverhaltens oder ehrenamtlichen Engagements betrifft.
Momentan funktionieren unsere Spendenkanäle noch sehr klassisch. Unsere Hauptspender sind im Alter von 60–80 Jahren. Diese reagieren vor allem auf persönliche Ansprache und Postwurfsendungen, die Online-Ansprache ist da noch vernachlässigbar. Man muss kein Hellseher sein, um zu erkennen, dass uns hier bald ein enormer Wandel bevorsteht. Um auch in Zukunft Spenden zu genieren, müssen wir uns zwangsläufig mit jungen Zielgruppen und dementsprechend auch mit modernen Kommunikationswegen beschäftigen.
(Nina Krüger, Bundesvereinigung Lebenshilfe e. V.)
Kleine und junge NPOs sind aktiver und besser für den Wandel gerüstet als die großen und etablierten Player. Doch just die Organisationen, die von Digitalisierung erheblich profitierten, stellen kaum ausreichende Mittel frei. Dabei geben Einrichtungen mit großen Budgets an, keine finanziellen Mittel dafür zu haben.
Für die Konzeption, Auswahl, Implementierung und Umsetzung bedarf es nicht nur Gelder, sondern auch personeller Ressourcen und Kompetenzen. Externe Berater und Experten könnten hier wertvolle Hilfe leisten. Zumal die Mehrzahl der Beschäftigten in gemeinnützigen Institutionen weder technologieaffin ist noch ausgesprochen offen Veränderungen gegenüber steht.
In Zukunft werden noch mehr Akteure im Non-Profit-Sektor in neuen, netzwerkartigen und weniger festen und weniger institutionellen Formen zusammenarbeiten. Beispielsweise um auf Krisen schnell reagieren zu können, werden sich Gruppen formieren, organisieren und dann auch wieder auseinandergehen. Solche wechselnden und agilen Kooperationsformen sind nur durch die Digitalisierung und die Kooperation über digitale Medien möglich.
(Holger Bauer, Don Bosco Mondo e. V.)
Weiterbildungsangeboten zu digitalen Themen und agiler Vorgehensweise sowie der Gestaltung von Veränderungsprozessen werden eine zunehmend wichtige Rolle spielen.
Fazit & Empfehlungen
Vorweg:
Digitalisierung bedeutet nicht, dass digitale Formen des Engagements analoge Formen ablösen werden. Aber durch die intelligente Integration digitaler und analoger Formate werden sich neue Formate zivilgesellschaftlicher Beteiligung erschließen können.
Bewusstsein für den Veränderungsdruck schärfen:
Zwar ist in den meisten Non-Profit-Organisationen das Verständnis vorhanden, sich angesichts des digitalen Wandels selbst verändern zu müssen. Nur ist offensichtlich der Druck nicht groß genug oder die Chancen werden noch nicht hinreichend verstanden, um das Thema strategisch und mit den entsprechenden Mitteln und Ressourcen anzugehen. Insgesamt wird die (gesellschaftliche) Tragweite der Digitalisierung und die Geschwindigkeit, mit der sich dieser Wandel vollzieht, unterschätzt.
Digital-Kompetenz durch Weiterbildungsangebote stärken:
Die Kompetenzen für eine erfolgreiche Digitalisierung und Transformation sind in dem Non-Profit-Sektor kaum vorhanden. Das gilt auch in Bereichen der Wirkungsmessung. Es gibt einen großen Bedarf an spezifischen Weiterbildungsangeboten. Hier könnte eine Lösung in Allianzen und Kooperationen liegen.
Digitalisierung strategisch verankern und Veränderungsfähigkeit stärken:
Besonders wichtig wird die Bereitschaft zur Veränderung sein. Basis dafür sind nicht technische Errungenschaften, sondern die Fähigkeit, Menschen innerhalb einer Organisation für Veränderungen zu begeistern und sie in die Mitgestaltung des Wandels aktiv einzubinden.
Digitale Lösungsangebote für NGOs unter Einbindung der IT-Industrie entwickeln:
Dreiviertel der Non-Profit-Organisationen in Deutschland sind nicht darauf vorbereitet, digitale Anwendungen (z.B. für Administration) zu nutzen. Die IT-Industrie wäre gefordert, den Non-Profit-Sektor besser darin zu unterstützen, digitale Technologien leichter einzusetzen zu können.
Austausch zwischen großen, etablierten und jungen, innovativen Organisationen fördern:
Die Studie zeigt, dass kleine und vor allem junge Non-Profit-Organisationen bessere digitale Skills haben, agiler sind und digitale Tools intensiver nutzen. Etablierte Einrichtungen sollten den Austausch mit innovativen Organisationen und Social Startups suchen und sich von ihnen in Bezug auf Digitalisierung inspirieren lassen. So ist beispielsweise der Einsatz eigener mobiler Anwendungen (Bsp. miitya), die die Interaktion mit und unter den Zielgruppen unterstützen und verstärken, kaum verbreitet.
* Die Studie ist ein gemeinsames Projekt mehrerer Organisationen, die sich für die Digitalisierung im Non-Profit-Sektor einsetzen. Sie wird getragen von der Stiftung WHU, Capgemini und der Haniel Stiftung und wurde durchgeführt vom betterplace lab, der WHU – Otto Beisheim School of Management, der CXP Group und fibonacci & friends. Der Bundesverband Deutscher Stiftungen und der Stifterverband haben die Studie inhaltlich begleitet.